Preissetzungsmacht in der Inflation: Fünf unterschätzte Kennzahlen für Anleger
Die Inflation nagt an Margen. Das spüren wir alle. Als Investor frage ich mich: Welche Unternehmen können sich wirklich wehren? Nicht alle, die Preise erhöhen, haben echte Macht. Manche verlieren dabei Kunden oder Marktanteile. Echte Preissetzungsmacht bedeutet, Preise durchzusetzen, ohne dass die Nachfrage einbricht – ein seltener und wertvoller Schatz. Hier sind fünf messbare, oft übersehene Indikatoren, die mir helfen, solche Unternehmen zu finden. Sie gehen weit über oberflächliche Bilanzkennzahlen hinaus.
Kundentreue unter Druck: Der wahre Test
Preise erhöhen kann jeder. Entscheidend ist, ob die Kunden trotzdem wiederkommen. Der Kundentreue-Index unter Druck misst genau das: Die Wiederkaufsrate nach einer konkreten Preiserhöhung. Ein Wert von über 80% ist stark. Denken Sie an bestimmte parfümfreie Seifen oder spezielle Tiernahrungsmarken. Kunden mit spezifischen Bedürfnissen oder emotionaler Bindung wechseln seltener. Für Anleger: Suchen Sie in Quartalsberichten nach Aussagen zu “Preisrealisierung” gepaart mit stabilen oder wachsenden Absatzzahlen. Das ist der Goldstandard.
Preiselastizität: Die unsichtbare Grenze
Ökonomen lieben dieses Konzept, aber es ist praktisch schwer zu fassen. Vereinfacht: Wie stark sinkt die verkaufte Menge (Absatz), wenn der Preis um 1% steigt? Eine Elastizität kleiner als 1 (absolut) signalisiert Macht. Wenn eine 5%-Preiserhöhung zu weniger als 1% Absatzrückgang führt, hat das Unternehmen Luft. Das sieht man oft bei patentgeschützten Medikamenten oder extrem spezialisierten Industriekomponenten. Anleger können indirekt schließen: Steigt der Umsatz stärker als der Absatz? Das deutet auf erfolgreiche Preiserhöhungen bei stabiler Nachfrage hin.
Weniger ist mehr: Die Macht der Konzentration
Ein überfüllter Markt ist ein Albtraum für Preise. Die Wettbewerbsdichte-Analyse schaut auf die Anzahl relevanter Spieler. Die Faustregel: In Märkten mit maximal drei dominierenden Anbietern ist Preissetzungsmacht wahrscheinlicher. Warum? Wettbewerb konzentriert sich oft auf andere Aspekte als nur den Preis, und Preiskriege sind für alle schädlich. Beispiele? Denken Sie an große Flugzeugbauer oder spezielle Halbleiterhersteller. Anleger sollten Marktanteilsdaten über mehrere Jahre prüfen. Stabile oder wachsende Anteile trotz Preiserhöhungen sind ein klares Signal in konzentrierten Märkten.
Die Premium-Lücke: Raum nach oben
Kann ein Unternehmen deutlich mehr verlangen als der billigste Konkurrent für ein vergleichbares Produkt? Diese Premiumisierungsfähigkeit ist ein starker Indikator. Eine Preisdifferenz von mindestens 30% ist oft signifikant. Das funktioniert nur mit wahrgenommenem Mehrwert: überlegene Qualität, ein starkes Branding, einzigartiges Design oder exklusive Vertriebswege. Luxusuhren sind das Klischee, aber auch bestimmte Werkzeugmarken oder Bio-Lebensmittelerzeuger schaffen diese Lücke. Für Anleger: Vergleichen Sie die durchschnittlichen Verkaufspreise pro Einheit innerhalb einer Branche. Wer konstant oben steht, hat Spielraum.
Die Schnelligkeit der Weitergabe: Vom Rohstoff zum Regal
Inflation trifft oft zuerst die Inputkosten. Wie schnell kann ein Unternehmen diese Steigerungen an seine Kunden weitergeben? Der Zeitverzug zwischen Rohstoffpreissteigerung und Endpreisanpassung ist entscheidend. In dynamischen Konsumgütermärkten sind weniger als drei Monate beeindruckend. Das zeigt operative Flexibilität und Marktakzeptanz. Ein Schokoladenhersteller, der steigende Kakaopreise schnell im Endprodukt spiegelt, demonstriert Stärke. Anleger können dies in Konferenzanrufen hören: Achten Sie auf Aussagen wie “zeitnahe Weitergabe gestiegener Inputkosten” mit konkreten Zeitangaben.
Das Gesamtbild zählt
Keine einzelne Kennzahl ist ein Allheilmittel. Echte Preissetzungsmacht zeigt sich im Zusammenspiel. Ein Unternehmen mit hoher Kundentreue in einem konzentrierten Markt, das schnell Kosten weitergibt und eine stabile Premiumlücke hält, während seine Preiselastizität niedrig bleibt – das ist der heilige Gral. Diese Unternehmen sind nicht immun gegen Konjunktur, aber sie navigieren Inflationsphasen mit deutlich mehr Widerstandsfähigkeit. Sie schützen ihre Margen und damit langfristig den Wert für uns als Anteilseigner. Es lohnt sich, hinter die Kulissen der üblichen Finanzkennzahlen zu blicken und diese fünf praktischen Hebel zu verstehen. Sie machen den Unterschied zwischen einem Unternehmen, das nur reagiert, und einem, das gestaltet.