Das Warren-Buffett-2-Listen-System aus “The Snowball” von Alice Schroeder
In einer Welt, die ständig unsere Aufmerksamkeit fordert, bleibt die Fähigkeit, die wichtigsten Prioritäten zu erkennen, eine der wertvollsten Eigenschaften erfolgreicher Menschen. Warren Buffett, einer der reichsten Menschen der Welt und legendärer Investor, hat ein bemerkenswert simples System entwickelt, das ihm dabei half, seine beispiellose Karriere zu gestalten.
Als ich zum ersten Mal von Buffetts 2-Listen-Methode hörte, war ich skeptisch. Könnte etwas so Einfaches wirklich so wirkungsvoll sein? Die Antwort ist ein klares Ja. Das System besteht im Kern aus nur zwei Schritten: Schreibe 25 Ziele auf und wähle dann die fünf wichtigsten aus. Die Magie liegt jedoch in dem, was mit den übrigen 20 Zielen passiert.
Die wahre Herausforderung bei der Priorisierung ist nicht das Identifizieren wichtiger Ziele – es ist das Weglassen der zweitwichtigsten. Buffett erkannte früh, dass die größte Bedrohung für außergewöhnlichen Erfolg nicht Faulheit ist, sondern die Zerstreuung der Energie auf zu viele “gute” Projekte gleichzeitig.
Die Biografie “The Snowball” von Alice Schroeder gibt tiefe Einblicke in Buffetts Leben und Denkweise. Obwohl das 2-Listen-System dort nicht explizit beschrieben wird, spiegelt es perfekt Buffetts Lebensprinzipien wider. Seine Fähigkeit, “Nein” zu sagen, selbst zu verlockenden Gelegenheiten, war entscheidend für seinen Erfolg.
Die 20 Ziele auf der “Vermeidungsliste” sind nicht unwichtig – sie sind nur weniger wichtig als die Top 5. Der entscheidende Punkt: Diese 20 Ziele werden zu absoluten Tabus, bis die Top 5 erreicht sind. Dies ist der Teil, den die meisten Menschen missverstehen. Die Vermeidungsliste beinhaltet keine Ziele für “später” – sie enthält Ziele, die aktiv vermieden werden müssen.
Die menschliche Psychologie macht uns anfällig für das, was ich “produktive Prokrastination” nenne. Wir arbeiten an einfacheren, weniger wichtigen Aufgaben, weil sie uns ein Gefühl des Fortschritts geben, während wir die schwierigeren, wichtigeren Ziele aufschieben. Buffetts System durchbricht diesen Kreislauf.
In der Praxis habe ich festgestellt, dass die Erstellung der Liste der 25 Ziele überraschend schwierig sein kann. Es erfordert echte Selbstreflexion und Ehrlichkeit. Was will ich wirklich erreichen? Welche Ziele verfolge ich aus eigener Überzeugung, und welche aus gesellschaftlichen Erwartungen? Die erste Liste sollte persönlich und authentisch sein.
Die wirkliche Herausforderung kommt jedoch beim zweiten Schritt: Die Auswahl der Top 5. Hier müssen harte Entscheidungen getroffen werden. Bei der Anwendung des Systems habe ich festgestellt, dass es hilfreich ist, sich zu fragen: “Wenn ich nur ein Jahr zum Leben hätte, welche dieser Ziele würde ich verfolgen?” Diese Perspektive schärft den Blick für das wirklich Wichtige.
Ein wenig beachteter Aspekt des Buffett-Systems ist seine Flexibilität über die Zeit. Die Top 5 sind nicht in Stein gemeißelt. Nach Erreichen eines Ziels oder bei grundlegenden Lebensveränderungen ist es sinnvoll, die Liste zu überprüfen und anzupassen. Das Prinzip der fokussierten Konzentration auf wenige, wichtige Ziele bleibt jedoch bestehen.
Die Macht des Systems liegt in seiner Einfachheit und Strenge. Es zwingt uns, uns festzulegen und echte Prioritäten zu setzen. In einer Welt der Multitasking-Verherrlichung ist dies revolutionär. Neurowissenschaftliche Forschungen bestätigen, dass Multitasking unsere Produktivität drastisch reduziert. Das Gehirn braucht Zeit, um zwischen verschiedenen Aufgaben zu wechseln, und jeder Wechsel kostet wertvolle kognitive Ressourcen.
Viele erfolgreiche Menschen haben ähnliche Systeme entwickelt, oft unabhängig von Buffett. Steve Jobs war bekannt für seine Fähigkeit, “tausend Mal Nein zu sagen”. Bill Gates praktiziert regelmäßig “Think Weeks”, in denen er sich ausschließlich auf seine wichtigsten strategischen Ziele konzentriert. Was diese Ansätze verbindet, ist das Verständnis, dass Fokus eine begrenzte Ressource ist, die strategisch eingesetzt werden muss.
Bei der Anwendung des Systems in meinem eigenen Leben habe ich bemerkt, dass es gegen die natürliche Tendenz arbeitet, immer mehr zu wollen. Unsere Konsumgesellschaft programmiert uns darauf, mehr zu erreichen, mehr zu haben, mehr zu sein. Buffetts System lehrt das Gegenteil: Weniger, aber besser.
Für Teams und Organisationen kann das 2-Listen-System transformativ sein. Zu oft verfolgen Unternehmen zu viele Initiativen gleichzeitig, was zu mittelmäßigen Ergebnissen in allen Bereichen führt. Die Anwendung von Buffetts Prinzip auf Organisationsebene bedeutet, mutige Entscheidungen zu treffen und sich auf wenige strategische Prioritäten zu konzentrieren.
Ein interessanter Nebeneffekt des Systems ist die emotionale Erleichterung, die es bringen kann. Die Entscheidung, bestimmte Ziele bewusst zu ignorieren, befreit von dem ständigen Schuldgefühl, “nicht genug zu tun”. Es gibt die Erlaubnis, voll und ganz in die wichtigsten Projekte einzutauchen, ohne das nagende Gefühl, etwas zu verpassen.
Die Herausforderung bei der nachhaltigen Umsetzung liegt in der Disziplin. Es ist verlockend, nach anfänglichen Erfolgen die Vermeidungsliste zu ignorieren und neue Projekte hinzuzufügen. Hier hilft es, regelmäßige Überprüfungen einzuplanen, um sich selbst zur Rechenschaft zu ziehen.
Ein weiterer Aspekt, der oft übersehen wird, ist die Rolle von Opportunitätskosten. Jede Stunde, die für ein Ziel auf der Vermeidungsliste aufgewendet wird, ist eine Stunde, die nicht für eines der Top-5-Ziele genutzt werden kann. Diese verlorene Zeit ist unwiederbringlich.
In der praktischen Anwendung habe ich festgestellt, dass es hilfreich ist, die Top-5-Liste sichtbar aufzuhängen. Die tägliche visuelle Erinnerung hilft, Fokus zu bewahren, wenn Ablenkungen locken. Gleichzeitig bewahre ich die Vermeidungsliste an einem anderen Ort auf – zugänglich, aber nicht ständig im Blick.
Bei der Beobachtung von Buffetts Karriere wird deutlich, dass sein Erfolg nicht nur auf brillante Investmententscheidungen zurückzuführen ist, sondern auch auf die Entscheidungen, die er nicht getroffen hat. Er hat zahlreiche lukrative Möglichkeiten ausgelassen, weil sie nicht zu seinen Kernprinzipien passten. Diese Disziplin, verbunden mit einem klaren Fokus auf seine Stärken, hat seinen außergewöhnlichen Erfolg ermöglicht.
Auf persönlicher Ebene hat die Anwendung dieses Systems mein Verhältnis zu Produktivität grundlegend verändert. Früher definierte ich Produktivität durch die Anzahl erledigter Aufgaben. Heute definiere ich sie durch Fortschritte bei meinen wichtigsten Zielen. Diese Verschiebung hat nicht nur meine Ergebnisse verbessert, sondern auch meine Zufriedenheit.
Die größte Stärke des Buffett-Systems liegt vielleicht in seiner universellen Anwendbarkeit. Es funktioniert für berufliche Ziele ebenso wie für persönliche. Es eignet sich für CEOs multinationaler Konzerne genauso wie für Studenten oder Pensionäre. Die Grundprinzipien – klare Prioritäten setzen und Ablenkungen konsequent vermeiden – sind zeitlos und kontextunabhängig.
In einer Ära der Informationsüberflutung und ständiger Ablenkungen wird die Fähigkeit zur bewussten Konzentration immer wertvoller. Buffetts 2-Listen-System ist ein kraftvolles Werkzeug, um diese Fähigkeit zu entwickeln und anzuwenden. Es ist kein Wundermittel, sondern ein Rahmenwerk, das Klarheit schafft und schwierige Entscheidungen erleichtert.
Wenn ich zurückblicke auf die Zeit, bevor ich dieses System anwendete, erkenne ich, wie viel Energie ich an Projekte verschwendet habe, die letztendlich wenig zu meinen Kernzielen beitrugen. Der Mut, “Nein” zu sagen – selbst zu interessanten Möglichkeiten – war eine der wertvollsten Lektionen, die ich aus Buffetts Ansatz gelernt habe.
Das 2-Listen-System mag auf den ersten Blick zu einfach erscheinen, um wirklich wirksam zu sein. Aber vielleicht liegt genau darin seine Genialität. In einer Welt, die Komplexität verehrt, erinnert uns Buffett daran, dass echte Meisterschaft oft in der Vereinfachung liegt. Die Kunst des Weglassens ist manchmal wichtiger als die Kunst des Hinzufügens.