7 Methoden zur Bewertung des intrinsischen Werts von Qualitätsaktien
Als langjähriger Investor habe ich gelernt, dass der wahre Wert einer Aktie oft weit vom aktuellen Marktpreis entfernt sein kann. Die Fähigkeit, den intrinsischen Wert eines Unternehmens zu ermitteln, ist ein entscheidender Vorteil bei Investitionsentscheidungen. Hier teile ich sieben bewährte Methoden, die ich zur Bewertung von Qualitätsaktien nutze.
Die Discounted Cash Flow-Analyse ist trotz ihrer Bekanntheit ein mächtiges Werkzeug, wenn sie mit konservativen Annahmen durchgeführt wird. Anstatt übermäßig optimistische Wachstumsraten zu verwenden, arbeite ich mit gedämpften Prognosen. Für ein stabiles Unternehmen wie Nestlé setze ich beispielsweise ein jährliches Wachstum von 3-4% an, obwohl Analysten oft 5-6% prognostizieren.
Bei der Berechnung beginne ich mit dem freien Cashflow des letzten Jahres und projiziere ihn über einen Zeitraum von 10 Jahren. Für Nestlé könnte dies so aussehen: Bei einem FCF von 10 Milliarden CHF und einer konservativen Wachstumsrate von 3,5% erhalte ich nach Abzinsung mit einem Kapitalkostensatz von 8% einen Barwert von etwa 84 Milliarden CHF für die ersten 10 Jahre. Für die Zeit danach berechne ich einen Terminalwert mit einer noch konservativeren Wachstumsrate von 2%. Dies führt zu einem Gesamtwert von rund 230 Milliarden CHF, was einem fairen Wert von etwa 83 CHF pro Aktie entspricht.
Die Bewertung des ökonomischen Burggrabens ist ein qualitativer Aspekt, der sich in Zahlen manifestiert. Ich vergleiche die Kapitalrenditen (ROIC) über längere Zeiträume. Ein Unternehmen wie LVMH demonstriert einen beeindruckenden Burggraben mit einem durchschnittlichen ROIC von über 15% in den letzten 10 Jahren, während der Branchendurchschnitt bei etwa 8% liegt.
Ich berechne den ROIC als Verhältnis von Betriebsgewinn nach Steuern zum investierten Kapital. Bei LVMH ergibt dies konsistent hohe Werte, die auf Preissetzungsmacht und Markenstärke hindeuten. Dies rechtfertigt ein höheres Bewertungsmultiplikator als bei Wettbewerbern ohne solche Vorteile.
Die Owner Earnings nach Warren Buffett sind ein präziseres Maß für den wirtschaftlichen Gewinn als buchhalterische Kennzahlen. Die Formel lautet: Nettogewinn + Abschreibungen - Kapitalausgaben zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs.
Bei einem Unternehmen wie Siemens zeigt sich oft eine erhebliche Diskrepanz. Während der buchhalterische Gewinn bei 6 Milliarden Euro liegen könnte, ergeben die Owner Earnings nach Abzug der notwendigen Reinvestitionen vielleicht nur 4,5 Milliarden Euro. Dies führt zu einer realistischeren Bewertung, die nicht durch buchhalterische Effekte verzerrt wird.
Die Sum-of-Parts-Analyse ist besonders wertvoll für konglomeratähnliche Unternehmen. Beim schweizerischen Konzern Roche betrachte ich beispielsweise die Pharmasparte und die Diagnostiksparte separat. Die Pharmasparte bewerte ich mit einem Multiplikator von 16x des Betriebsgewinns, während die Diagnostiksparte mit 14x bewertet wird. Die Addition dieser Teile plus kleinerer Geschäftsbereiche und abzüglich der Nettoschulden ergibt einen Gesamtwert, der oft vom aktuellen Marktpreis abweicht.
Diese Methode deckt häufig versteckte Werte auf, die in der Gesamtbewertung untergehen. Bei Berkshire Hathaway würde ich das Versicherungsgeschäft, die operativen Nicht-Versicherungsunternehmen und das Aktienportfolio jeweils separat bewerten.
Die Ermittlung des Reproduktionswerts ist ein alternativer Ansatz, den ich besonders bei Unternehmen mit bedeutenden materiellen Vermögenswerten anwende. Bei einem Unternehmen wie HeidelbergCement frage ich: Was würde es kosten, die Produktionskapazitäten, Vertriebsnetzwerke und Marktpositionen neu aufzubauen?
Die Berechnung berücksichtigt die inflationsbereinigten Kosten für Produktionsanlagen, die Aufwendungen für den Aufbau eines vergleichbaren Vertriebsnetzes und die Investitionen in Markenbekanntheit. Für HeidelbergCement könnte dies einen Reproduktionswert von 150 Euro pro Aktie ergeben, selbst wenn die Aktie zu 100 Euro gehandelt wird.
Die Analyse historischer Bewertungskorridore gibt Aufschluss über angemessene Bewertungsniveaus in verschiedenen Marktphasen. Bei SAP betrachte ich beispielsweise das KGV über die letzten 15 Jahre und stelle fest, dass es zwischen 15 und 30 schwankte. In Rezessionsphasen lag es typischerweise am unteren Ende dieses Korridors, während Boomzeiten höhere Bewertungen brachten.
Ich berechne dann einen fairen Wert basierend auf dem durchschnittlichen KGV von etwa 22, adjustiert für die aktuelle Position im Konjunkturzyklus. Bei einem erwarteten Gewinn von 5 Euro pro Aktie und einem aktuellen Zyklus, der eine leicht unterdurchschnittliche Bewertung rechtfertigt, könnte ein fairer Wert von etwa 105 Euro resultieren.
Die Worst-Case-Szenario-Bewertung ist mein Sicherheitsnetz. Ich modelliere extreme Bedingungen und schätze, wie sich diese auf den Unternehmenswert auswirken würden. Für Daimler könnte ich annehmen, dass eine schwere Rezession den Absatz um 30% einbrechen lässt und die Margen von 8% auf 3% schrumpfen.
Selbst unter diesen Bedingungen könnte Daimler noch einen positiven Cashflow generieren und verfügt über ausreichende Reserven, um eine mehrjährige Krise zu überstehen. Bei einer Worst-Case-Bewertung von 25 Euro pro Aktie und einem aktuellen Kurs von 45 Euro bietet sich immer noch eine erhebliche Sicherheitsmarge.
Die Kombination dieser Methoden liefert mir ein vielschichtiges Bild des wahren Wertes. Für meine Entscheidungen ist die Konsistenz zwischen den verschiedenen Ansätzen wichtig. Wenn mindestens fünf der sieben Methoden auf eine Unterbewertung hindeuten, wird das Unternehmen für mich interessant.
Der intrinsische Wert ist kein punktgenauer Betrag, sondern eine Bandbreite. Bei Qualitätsaktien wie Lindt & Sprüngli kann diese zwischen 65.000 und 75.000 CHF pro Aktie liegen. Das Ziel ist nicht absolute Präzision, sondern eine fundierte Einschätzung, die signifikante Fehlbewertungen identifiziert.
Die praktische Anwendung dieser Methoden erfordert Geduld und Disziplin. Als ich ASML bei 130 Euro analysierte, zeigten meine Bewertungsmethoden einen intrinsischen Wert von etwa 250 Euro. Trotz kurzfristiger Volatilität bestätigte die langfristige Entwicklung diese Einschätzung.
Ich verwende diese Methoden nicht isoliert, sondern als Teil eines ganzheitlichen Prozesses. Qualitative Faktoren wie Management-Integrität, Wettbewerbsposition und Anpassungsfähigkeit an Marktveränderungen fließen in meine endgültige Bewertung ein.
Für Einsteiger empfehle ich, mit der Discounted Cash Flow-Analyse und der Analyse historischer Bewertungskorridore zu beginnen. Diese Methoden sind relativ zugänglich und bieten eine solide Grundlage. Mit zunehmender Erfahrung können die komplexeren Ansätze hinzugefügt werden.
Die größte Herausforderung bei der Bewertung von Qualitätsaktien ist die Einschätzung der langfristigen Wachstumsraten. Hier hilft ein Blick auf die Unternehmensgeschichte und die strukturellen Treiber des jeweiligen Marktes. Bei Symrise zeigt die Analyse der letzten 20 Jahre ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 6-7%, was eine vernünftige Basis für zukünftige Projektionen darstellt.
Es ist wichtig, diese Methoden an verschiedene Branchen anzupassen. Bei Softwareunternehmen wie TeamViewer fokussiere ich mich stärker auf DCF und Owner Earnings, während bei Versicherern wie Munich Re die Analyse historischer Bewertungskorridore besonders aufschlussreich ist.
Der Zeitaufwand für eine gründliche Bewertung ist erheblich. Für eine vollständige Analyse eines Unternehmens wie Allianz benötige ich etwa 15-20 Stunden. Diese Investition zahlt sich jedoch aus, da sie eine fundierte Basis für langfristige Investitionsentscheidungen schafft.
Die systematische Wertermittlung hat mir wiederholt geholfen, gegen den Marktkonsens zu handeln. Während der Marktturbulenzen 2020 zeigten meine Bewertungsmodelle, dass Unternehmen wie LVMH trotz kurzfristiger Einbußen langfristig unterbewertet waren – eine Einschätzung, die sich als richtig erwies.
In meiner Erfahrung liegt der größte Mehrwert dieser Methoden nicht in der Präzision der Zahlen, sondern in der strukturierten Denkweise, die sie fördern. Sie zwingen mich, langfristig zu denken und mich nicht von kurzfristigen Marktbewegungen beeinflussen zu lassen.
Der intrinsische Wert eines Unternehmens verändert sich langsamer als der Aktienkurs, was Gelegenheiten für geduldige Investoren schafft. Die sieben vorgestellten Methoden helfen mir, diese Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen, indem sie eine systematische Bewertung ermöglichen, die über tägliche Preisschwankungen hinausblickt.